Frankfurt (Oder) 2022: ein antifaschistischer Rückblick, ein extrem rechtes Jahr

Mit den Berichten über die Enttarnung eines Reichsbürger*innen-Netzwerkes stimmten die Medien uns dieses Jahr auf die besinnliche Vorweihnachtszeit ein. [1] Die zunehmende Offenheit faschistischer Umsturz-Fantasien ist jedoch kein Naturereignis. Extrem rechte Gewalttaten häufen sich, wenn die bürgerliche „Mitte“ verroht.

Das Jahr 2022 endete. In diesem Artikel lassen wir exemplarisch extrem rechte Vorfälle Revue passieren. Vier Jahreszeiten – vier Schlaglichter auf die Schattenseiten unserer Stadt. Wir beginnen mit dem Angriff auf den Kulturschaffenden Michael Kurzwelly.

Frühlingsgefühle: Nazi-Angriff auf Kulturschaffenden. Die Polizei weiß von nix.

Am 18.05. verbrennen vier junge Männer auf dem Brückenplatz in der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Str. große Schachfiguren und mehrere Paletten des Vereines Slubfurt e.V. Nachdem zwei Vereinsmitglieder dies zufällig bemerkten und den Vereinsvorstand Michael Kurzwelly hinzu riefen, stellten sie die Täter zur Rede. Michael Kurzwelly versuchte Fotoaufnahmen der Täter anzufertigen, wurde dann allerdings brutal von einem der Täter geschlagen und musste noch am Abend des Geschehens ins Klinikum Frankfurt (Oder) gebracht werden, wo er einen Tag später operiert wurde. [2]

Die noch kurz vor dem Angriff angefertigten Fotos leitete Kurzwelly an die Polizei zur Tataufklärung weiter. Nach zwei Monaten teilte die Polizei mit, dass das Verfahren eingestellt wird, weil – trotz der Bildaufnahmen – kein Täter ermittelt werden konnte. Michael Kurzwelly veröffentlicht daraufhin auf eigene Initiative die Fotos auf seinem Facebook-Account – und sammelt innerhalb eines Tages mehr ermittlungsrelevante Informationen als die Polizei in zwei Monaten. Das allein ist schon erschreckend genug. Dass Bundespolizist*innen vor Ort meinten, dass „die Täter sicherlich Ausländer“ waren, obwohl alle Täter mit brandenburgischem Dialekt sprachen, ist ebenso bezeichnend.

Die Polizei versäumte es zudem, einen vor Ort vernommenen Zeugen, der die Rettungskräfte überhaupt erst zum Tatort gerufen hatte, im internen Polizeibericht zu erwähnen, Als Krönung des Versagens unterließ es die Polizei dann auch noch, ein vom Zeugen abgegebenes Beweismittel zu sichern und nahm auch dieses nicht in den Polizeibericht mit auf. Warum der Zeuge in der Berichtsakte der Polizei nicht aufgeführt wird, kann sich die zuständige Staatsanwältin ebenfalls nicht erklären. [3]

Unaufgeklärt bleibt bis dato die naheliegende politische Motivation der Täter, bei dem mutmaßlichen Angriffstäter handelt es sich vermutlich um einen jungen Frankfurter, der sich in extrem rechten Kreisen bewegt.

Die AfD: Für jedes Sommerloch zu haben

Von der AfD waren in diesem Sommer die gewohnten rechtspopulistischen Äußerungen zu vernehmen: das Fischsterben in der Oder ist für sie ein Grund, die deutsch-polnischen Beziehungen zu beklagen – weil diese angeblich seit Jahren nur zugunsten Polens verliefen. Denn in Polen würde jede Kritik von deutscher Seite immer damit beantwortet, „die Karte der angeblich noch ausstehenden Entschädigungszahlungen zu spielen.“ [4] Dazu werde die deutsche Regierung  bald eine „NAZI-Steuer“ einführen, mit der dann der künftige Umweltschutz bezahlt werden solle. Worum es der AfD eigentlich geht, wird in den Kommentaren auf ihrer Facebook-Seite deutlich: „Die Polen sollen uns die Deutschen Länder zurückgeben und das sehr schnell“, schreibt dort Heiko Mahrenholz. [5]

Auch bei anderen Themen nutzt die AfD jede Chance, um ihre rechtspopulistische Gesinnung zum Besten zu geben: Im Juni löst der Fall des syrischen Mädchens, der aufgrund ihres Hijab ein Praktikumsplatz in einem Modegeschäft verwehrt wurde, einen kleinen Skandal aus. Für die AfD war das mal wieder ein Anlass, um gegen die schmarotzenden „Asylanten“ zu wettern. [6]

Polemik und Hetze sprechen aus jeder Veröffentlichung der Partei. [7] Ihre Beiträge zur konkreten Kommunalpolitik sind veraltet, stattdessen wird permanent auf aktuelle Krisen oder vermeidliche Skandale reagiert. Bezogen auf Klimawandel, Covid-19 und den Krieg gegen die Ukraine ist die Frankfurter AfD auf Linie der Bundespartei. Dass die Stärke der Partei nicht in ihrer Sachkompetenz liegt, sondern dass sie für ihre rechte Stimmungsmache gewählt wird, ist allgemein bekannt. Die Frankfurter Akteure der Partei sind da keine Ausnahme.

Die AfD angekommen im Sommerloch

Darüber hinaus unterstützt die Frankfurter AfD die Aufmärsche der Querdenker*innen, die seit einiger Zeit in der Stadt stattfinden. Außerdem organisiert die Partei Infostände und veranstaltet regelmäßig einen Stammtisch in der „Gaststätte Kakadu“ – gemeint ist das Etablissement „Endstation Kakadu“ im Stadtteil Neuberesinchen, das von Yvonne Müller und Andreas Liesener betrieben wird. [8] Die Inhaber*innen betreiben zusätzlich das „Kakadu Island“ auf dem Ziegenwerder, arbeiten laut eigener Aussage erfolgreich mit dem örtlichen Jugendclub, der Kita und dem Haus der Begegnung zusammen und organisieren auch Hüpfburgfeste auf dem Ziegenwerder.

Politik und Zivilgesellschaft müssen aufpassen, dass die Partei sich nicht noch weiter durch ihre Finanzquelle im Landtag, Wilko Möller, als verlässliche Unterstützerin in der Stadt etabliert. Die Frankfurter AfD versucht dies, indem sie beispielsweise das Frankfurter Sozialkaufhaus besuchte und ankündigte, bei Engpässen auszuhelfen. Im April 2021 wurden bereits 3.850,00 Euro an das Frankfurter Sportzentrum gespendet. Allerdings profitiert auch Möller persönlich von unseren Steuergeldern: Er leistet sich für seine Kurzstreckenfahrten ein überzogenes Fahrzeug, eine Mercedes S-Klasse. [9] Es gibt eben Prioritäten, was man mit den hart verdienten Landtags-Diäten machen sollte…

Der Herbst: Erntezeit für die Extreme Rechte

Die „Frankfurter Freigeister“ bestreiten nach wie vor sog. Montagsspaziergänge, die im Rahmen der Corona-Pandemie entstanden sind, um gegen die Schutzverordnungen zu protestieren. Inzwischen wurde der Russische Angriffskrieg in der Ukraine mit aufgenommen. Während des Sommers 2022 sinkt die Zahl der Teilnehmer*innen zwischenzeitlich auf 100. [10] Von Beginn an wird die räumliche oder ideologische Nähe zur Extremen Rechten heruntergespielt. Es gehört überhaupt zu den auffälligen Merkmalen aller „Freigeister“, „Freien Brandenburger“, „Freien Thüringer“ usw., dass sie das Links-Rechts-Schema „überwinden“ wollen.

Im Herbst gewinnen die Veranstaltungen dann wieder an Zulauf. Über 1.500 Leute kommen zu den Demonstrationen, die zum Politikum werden und auch überregional und im RBB-Fernsehen von den bürgerlichen Medien hilflos diskutiert werden. [11] [12]

Der Protest der „Freigeister“ gegen die Staatsgewalt ist vor allem frei von jeglicher Verantwortung. Woche für Woche laufen sie gemeinsam mit Nazis und finden nichts Anstößiges daran. Organisierte Neofaschist*innen haben in den harmlos auftretenden Initaitiven der „Freien“ eine neue Möglichkeit entdeckt, den Unmut über die Zumutungen der Regierungspolitik zu kanalisieren.

Die Frankfurter AfD mobilisiert natürlich auch zu den Protesten. Ihnen wird dort ganz selbstverständlich eine Bühne geboten, auf der sie sich als des Volkes Stimme inszenieren können. Die „Freigeister“ bemühen sich aber auch hier, ihre faktische Nähe zur extrem rechten Partei nicht zu offensichtlich erscheinen zu lassen. [11]

Der Bezug der „Frankfurter Freigeister“ zu ihrem Ort wirkt harmlos lokalpatriotisch, und soll Originalität verbürgen. Dabei werden Initiativen, Vereine und Parteien der „Freien“ oft von Kadern aus etablierten Nazi-Strukturen gegründet oder von diesen vereinnahmt. [13]

Diesen Herbst zeigt sich bundesweit und besonders deutlich in Frankfurt: Der Firnis der Zivilisation ist dünn. Es ist natürlich auch die schwache Verankerung der linken Bewegung, die dazu führt, dass die Sozialproteste von der Extremen Rechten wirkungsvoll aufgegriffen werden können. Doch vor allem zeigt sich, dass die sog. Mitte der Gesellschaft aktuell wenig anzubieten hat. Die Rechte erntet so die Unzufriedenheit.

Winterzeit: Vor dem Angriff aufwärmen in der Nazi-Kneipe

Seit vielen Jahren schon stellt die „Bierbar“ des Inhabers Guido Tietgen (seit 01.01.2022 aus Sozialversicherungsgründen seine Ehefrau Yvonne Tietgen) einen Treffpunkt trinkaffiner Neonazis dar. Auch wir berichteten bereits mehrfach über rechte Umtriebe und Treffen in der Bar. Während um 2013 herum noch rechte Liedermacherabende und Angriffe auf den Musikclub „Garage“ des Utopia e.V. Rechte zur „Bierbar“ brachten, sind es nun vordergründig Fußballspiele, die die Neonazis in die Bar treibt.

Rückblick: Schon im Sommer fällt die Kneipe abermals mit Bedrohungen und rechten Symboliken auf. Wie Nachbar*innen der Bar berichteten, kommt es wiederholt zu Anfeindungen, Bedrohungen sowie dem Zeigen rechter Symboliken.
So auch am Abend des 19.08.2022, als sich eine Gruppe von Frankfurter Neonazis in der „Bierbar“ versammelt. Die Stimmung der Gruppe schaukelt sich im Laufe des Abends hoch. Aus der Gruppe werden zunächst vorbeigehende Nachbar*innen angepöbelt und bedroht, später kommt es auch zu Hitlergrüßen aus der Gruppe.

Gegen Betriebsschluss der Kneipe verlässt die Gruppe erst die Bar, um kurz danach umzukehren und erneut heimkehrende Nachbar*innen zu bedrohen. Dabei wortführend sind Dirk Matz und Bryan Dachwitz. Dirk Matz ist in einem Frankfurt Tiefbauunternehmen tätig und scheut sich nicht, seine Gesinnung nach außen zutragen. Auch Bryan Dachwitz fiel bereits in der Vergangenheit durch seine rechte Gesinnung und Freundschaften zu Andy Köbke und Siegfried Pauly auf. Darüber hinaus beteiligt sich an den Anfeindungen ein Mitarbeiter einer lokalen Fahrradwerkstatt sowie ein ambitionierter Hertha-Fan.

Dirk Matz und Brian Dachwitz am Abend des 20.08.2022 in der Bierbar.

Wenige Monate später, am Abend des 12. November sind dann 5-6 Leute der Kameradschaft „Wolfsschar“ um Siegfried Pauly in der „Bierbar“ zugegen. Im Hinterhof der Berliner Str. 24, wo der „Utopia e.V.“ und die „Flexible Jugendarbeit“ ihren Sitz haben, zünden sie ein Tuch in der Hoffnung an, die Holzterrasse würde Feuer fangen. Die Gruppe geht zurück in die „Bierbar“. Auf Initiative einer anwohnenden Person, der diese Bedrohung zu weit geht, wird die Gruppe schließlich aus der Kneipe rausgeschmissen. Zeitgleich kommen mehrere Bewohner*innen nach Hause. Sie werden von den Neonazis der Kameradschaft „Wolfsschar“ verfolgt, mit Flaschen und Steinen beworfen. Die Bewohner*innen retten sich gerade noch rechtzeitig ins Haus. Diverse antisemitische und rassistische Beleidigungen begleiten den Angriff. Die Gruppe Nazis versucht dann, die Haustüren einzutreten, scheitert jedoch und verlässt den Ort in Richtung Innenstadt. An der „Movies Bar“ werden sie schließlich von der Polizei eingekesselt, die ihre Personalien aufnimmt – und die Angreifer dann weiter ziehen lässt.

Brian Dachwitz und Siegfried Pauly im Sommer 2022

Quellen und Links:

[1] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/reichsbuerger-razzien-ermittlungen-101.html

[2] MOZ-Artikel vom 20.05.2022, abrufbar unter:
https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/polizei-ermittelt-angriff-auf-michael-kurzwelly-am-brueckenplatz-in-frankfurt-_oder_-_-zeugen-gesucht-64539353.html

[3] MOZ-Artikel vom 05.08.2022, abrufbar unter: https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/angriff-in-frankfurt-_oder_-kuenstler-michael-kurzwelly-vom-brueckenplatz-kritisiert-polizei-65858789.html

[4] https://www.afd-ffo.de/2022/08/22/vertrauensbruch-erster-guete/

[5] https://www.facebook.com/afdffo/photos/a.656520021148353/2671046833028985/

[6] https://www.afd-ffo.de/2022/06/12/syrisches-maedchen-mit-kopftuch-bekam-kein-praktikum-bei-orsay-ein-afd-kommentar/

[7] Neben der Webpräsenz der Partei ist die Seite des Mitteilungsblattes „Der blaue Fritz“ zu nennen, das durch besonders krude und hasserfüllte Darstellungen auffällt: https://derblauefritz.com/

[8] https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/gastronomie-und-freizeit-auf-dem-ziegenwerder-in-frankfurt-_oder_-eroeffnet-eine-kleine-eisbahn-61951873.html

[9] https://www.facebook.com/afdffo/photos/pcb.2637072549759747/2637072466426422

[10] https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/corona-in-frankfurt-_oder_-mehr-als-100-menschen-demonstrieren-gegen-impfpflicht-und-_kriegstreiberei_-65430447.html

[11] https://taz.de/Montagsdemos-in-Frankfurt-an-der-Oder/!5894970/

[12] https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/protest-in-frankfurt-_oder_-wachsende-teilnehmerzahl-bei-demonstration-gegen-russland-sanktionen-und-bundesregierung-66856625.html#paywall-tab-anmeldung

[13] https://www.belltower.news/freie-sachsen-mit-der-monarchie-fuer-den-saexit-120069/

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